Der britische Historiker Faramerz Dabhoiwala hat eine opulente Studie über «Lust und Freiheit» geschrieben, in der er die «erste sexuelle Revolution» um zwei Jahrhunderte zurückdatiert. Die etablierte Geschichte der «sexuellen Revolution» geht etwa so: In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts hätten sich junge Männer und Frauen in den westlichen Metropolen vom jahrhundertealten Ballast der Prüderie und von kirchlicher Bevormundung befreit. Forsch habe die Jugend den Sex von der Ehe und — mit Unterstützung der chemischen Industrie — von der Fortpflanzung entkoppelt. Noch immer aktuell ist der dialektische Einwurf des Philosophen Michel Foucault, die sexuelle Befreiung habe das Individuum dazu gebracht, sich nun wesentlich über seinen Sex zu definieren — die Befreiung habe zur Selbstbevormundung geführt. Diese Sicht teilt der britische Historiker Faramerz Dabhoiwala, der in Oxford lehrt, nicht. Für ihn bleibt die sexuelle Revolution eine Erfolgsgeschichte, da sie für die Individuen neue Spielräume geschaffen habe. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan. Aber auch Faramerz Dabhoiwala modifiziert die Geschichte der sexuellen Revolution. In seinem Wälzer «Lust und Freiheit» im Original etwas reisserisch «The Origins of Sex»,den die angelsächsische Welt breit und meist enthusiastisch rezipiert hat, verlegt er die «erste sexuelle Revolution» des Westens zwei Jahrhunderte zurück in die zweite Hälfte des Jahrhunderts — in die Zeit der Aufklärung, in die Epoche Voltaires, Kants, Beccarias. Das überrascht. Dabhoiwala geht gar noch einen Schritt weiter: Er macht die sexuelle Revolution zum «entscheidenden Aspekt» der Aufklärung womit diese endlich zu ihrem vollem Recht käme. Die sexuelle Befreiung der sechziger und siebziger Jahre des Jahrhunderts wäre demnach nur ein Erbe der Aufklärungszeit gewesen. Die verblüffende These gilt indes mit Einschränkungen, wie der Autor selbst anmerkt. Erstens: Behandelt wird hauptsächlich London, die damals mit Abstand grösste und wohl auch dynamischste Stadt der Welt. Die Prostitution etwa vermochte die Obrigkeit kaum mehr zu kontrollieren. Zweitens: In London wurde die Zensur bereits um abgeschafft in der republikanischen Schweiz war sie noch Anfang des Jahrhunderts in Kraft. Dadurch konnte sich eine lebhafte Presse entwickeln, die auch Fragen der Moral und — modern gesprochen — der «Sexualität» verhandelte. Dritte Einschränkung: Von der Revolution profitierten in erster Linie die weissen und männlichen Angehörigen der Oberschichten was zweihundert Jahre später zunächst kaum anders war. Dabhoiwala entfaltet seine Revolution vor einem etwas zu eintönigen Hintergrund: der jahrhundertelangen Kontrolle des Sexualverhaltens — der «Wollust» — und der Fortpflanzung durch Obrigkeit und Kirche. Vor Sex Im 18 Jahrhundert seit der Reformation seien der geschlechtliche Verkehr und der Austausch sonstiger körperlicher Zärtlichkeiten nur im Rahmen der Ehe erlaubt gewesen. Alles andere — gleichgeschlechtlicher oder Verkehr vor bzw. Der Sünder habe im Verständnis der Zeit den göttlichen Zorn immer auch auf seine Gemeinschaft gezogen. Daher sei die Regelung des Sexualverhaltens auch eine Sache des Staats gewesen. Entscheidende Risse in dieser sakrosankten Ordnung macht der Autor zunächst in der Philosophie des Jahrhunderts aus etwa bei David Hume. Sie habe davon profitiert, dass die Reformation mit der Spaltung des Christentums die Relativierung der Religion und ihrer Dogmen ermöglicht habe. Ferner hätten Reiseberichte die ganz anderen Sitten und Gebräuche fremder Völker ins Blickfeld gerückt. Die von Dabhoiwala aufmerksam nachgezeichneten Debatten ergaben, dass Ehe und Moral Konventionen seien, Unkeuschheit, Masturbation und Prostitution der Gemeinschaft nicht schadeten schon gar nicht ökonomisch und — unter Umständen — die Polygamie und sogar die Homosexualität legitim seien. Letzteres durfte allerdings nicht öffentlich geäussert werden. Die Forderung des Rechts auf sexuelle Privatheit rückte auf die politische Agenda. Ausserehelicher und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr sei nicht mehr kriminalisiert worden. Den Einstellungswandel beförderten nach Dabhoiwala entscheidend die populären Romane insbesondere diejenigen Samuel Richardsons und vor allem die Massenmedien, Zeitungen und Flugblätter also, in denen über «sexuelle» Themen geschrieben wurde, auch in den eifrig bewirtschafteten Leserbriefspalten. Der Autor führt zahllose Drucksachen Sex Im 18 Jahrhundert, die etwa aus dem Privatleben berühmter Prostituierter berichteten zum Beispiel «Kitty Fisher»nach denen sogar Rennpferde benannt waren. Auch Frauen allen voran die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft hätten zur sexuellen Revolution beigetragen, indem sie in Traktaten und Romanen Geschlechterfragen verhandelten und vor ruchlosen Sex Im 18 Jahrhundert warnten. Paradoxerweise habe der Versuch, die männliche Doppelmoral zu entlarven, den Sex Im 18 Jahrhundert noch virulenten Topos begründet, Frauen seien weniger libidinös als Männer. Am Ende lässt sich der Eindruck, Faramerz Dabhoiwala greife mit seiner steilen These etwas zu hoch, nicht ganz zerstreuen, weil die erste sexuelle Revolution — anders als die zweite des Jahrhunderts — nur wenige Menschen betraf und sich hauptsächlich in den Medien abspielte.
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Sexuelle Revolution: Sex war nicht immer Privatsache | ZEIT ONLINE Sexualität ist in der frühen Neuzeit kein selbstverständliches Grundrecht, sondern ein Exklusivrecht der Vermögenden. Die neue Ausstellung im Château de Prangins – Schweizerisches Nationalmuseum geht der Liebe und Sexualität im Jahrhundert auf den Grund. Von wegen sittsam: Im Jahrhundert hatte jeder fünfte Londoner Syphilis | escort-germany.onlineZur Belohnung wird sie am Schluss von ihm geheiratet. Noch immer aktuell ist der dialektische Einwurf des Philosophen Michel Foucault, die sexuelle Befreiung habe das Individuum dazu gebracht, sich nun wesentlich über seinen Sex zu definieren — die Befreiung habe zur Selbstbevormundung geführt. Materialreich wird die Neugier auf berühmte Prostituierte, Kupplerinnen, Lebemänner ausgebreitet. Kultgegenstand aus dem "Beggars Benison"- Männerclub: Man traf sich, trank und ejakulierte gemeinsam in Zinnteller. Die historische Zäsur ist aus zahlreichen Einzelstudien bekannt. Darin beschreibt der Wissenschaftler aus Oxford, wie sich die Sexualität in Europa zu dem entwickelte, was sie heute ist: selbstbestimmt, kommerzialisiert und schamlos.
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Mit Beginn des Zeitalters der Aufklärung im Jahrhundert änderte sich das Bild der Liebe allmählich. Die neue Ausstellung im Château de Prangins – Schweizerisches Nationalmuseum geht der Liebe und Sexualität im Jahrhundert auf den Grund. Sexualität ist in der frühen Neuzeit kein selbstverständliches Grundrecht, sondern ein Exklusivrecht der Vermögenden. Erfindungen der Neuzeit begünstigten. Die Publikation von Samuel Auguste Tissot war der Start einer weltweiten Anti-Masturbationsbewegung, welche die Gesellschaft bis ins Jahrhundert.Kreuzfahrten Suff, Party und Affären - Crewmitglieder über ihr wildes Leben auf Kreuzfahrtschiffen von Gernot Kramper Artikel merken. Die niederen Klassen wurden weiterhin zu Keuschheit angehalten, allein schon, damit nicht dutzendweise Kinder im Elend aufwuchsen. Und doch waren es zugleich die Protestanten, die bereit waren, eine Diskussion beispielsweise über Bigamie zu führen. Oder gibt es ein technisches Problem? Auch von dieser turbulenten Beziehung, die er detailliert schilderte, zog er sich die "Plage der Venus" zu. Durfte man seinen Partner oder seine Partnerin frei wählen, und war Ausschliesslichkeit ein unverrückbares Gesetz? Am Ende lässt sich der Eindruck, Faramerz Dabhoiwala greife mit seiner steilen These etwas zu hoch, nicht ganz zerstreuen, weil die erste sexuelle Revolution — anders als die zweite des Letztlich habe die überwiegende Mehrheit der Hauptstädter damals an einer Geschlechtskrankheit gelitten. Jahrhunderts — in die Zeit der Aufklärung, in die Epoche Voltaires, Kants, Beccarias. Teilen Sie diesen Inhalt auf Twitter Dabei verlassen Sie das Angebot des BR. Der Schwerenöter Boswell war keine Ausnahme. Und dann gab es die Risikogruppe, der auch James Boswell angehörte: Etablierte Herren, die sich die sexuellen Dienstleistungen der Armen leisten konnten. Jahrhundert als Sünde. Einfache Menschen wurden häufiger vor Gericht gestellt als Reiche. Auch das christliche Mittelalter propagierte Enthaltsamkeit. Im Mittelalter hatten Frauen als sündhafte Wesen gegolten, die von unheilbarer Geilheit getrieben wurden Eva! Aber wie verhielten sich die Dinge im Die saftigen Anekdoten, die Dabhoiwala dazu erzählt, tragen dabei vortrefflich zur Unterhaltung bei. Mit Beginn des Zeitalters der Aufklärung im Mary Davis, Mätresse Karls II. Prostituierte im Kölner "Pascha": Prostitution war in Europa lange verboten. Berichte von Pferderennen So verbrachte er ein weiteres Jahrzehnt damit, dass er Gerichtsprotokolle, Zeitungen, Pamphlete, Statistiken durchforstete — immer auf der Suche nach Spuren, die die sexuelle Revolution des Die Studie enthüllt nicht nur eine unterbelichtete Seite der Aufklärung. Es bildeten sich Männerclubs, deren Mitglieder sich trafen, um aus phallusförmigen Weingläsern zu trinken, ihre Penisse zu vergleichen und erotische Literatur auszutauschen. Do, Er war einer der ersten, der in seinen Tagebüchern auch persönliche und intime Erfahrungen festhielt. Der Autor führt zahllose Drucksachen an, die etwa aus dem Privatleben berühmter Prostituierter berichteten zum Beispiel «Kitty Fisher» , nach denen sogar Rennpferde benannt waren. Mo, Anhand von Gerichtsprotokollen, Briefen und Tagebüchern skizziert der Autor die Schicksale von Huren, Verliebten, Tagelöhnern und Politikern. Das Publikum muss keine Strafe fürchten, wenn es gesteht, Sex ohne Trauschein gehabt zu haben. Bitte beachten Sie, dass der Download und die Verwendung der Bilder ausschliesslich Medienschaffenden, Lehrpersonen und weiteren Berechtigten gestattet ist.